Alexander Hilbert
ARCHEOLOGY OF NOW
Old-school oder post-digital: Ein Instagram-Feed goes Buch und erhebt Berlins Plakat-Fragmente zum Gesamtwerk. Die Poesie der Décollage, neu gelesen.
Mit einem Essay von Bernd Guggenberger
28,00 EUR
Alexander Hilbert
ARCHEOLOGY
OF
NOW
Old school oder post-digital – ein Instagram-Feed goes Buch und erhebt Berlins Plakat-Fragmente zum Gesamtwerk. Die Poesie der Décollage, neu gelesen.
Mit einem Essay von Bernd Guggenberger
28,00 EUR
Künstlerbuch, 2024
Hardcover mit Fadenheftung
Format 210 x 210 mm
Gestaltung:
Alexander Hilbert
248 Seiten
ISBN 978-3-96703-108-9
Was also haben wir vor uns? Ein Buch, gewiss, aber ein ganz besonderes. Kein Buch, das uns über Kunst, über fremde oder eigene, quasidokumentarisch berichtet oder belehrt, sondern ein Buch, das selbst, als Ganzes, Kunst ist; die Kunst ist, die es im Inneren, sorgfältig gereiht und aufgelistet, enthält.
Was Hilberts “Archeology of Now” uns zeigt, sind keine „Reals“, keine Dinge, die sonst irgendwo, außerhalb des Buches, als Kunstdinge in materialer Entsprechung existieren. Keine Abbildungen von etwas, das außerhalb der Fotografien als Bild, als eigenständiges Kunstobjekt vorhanden wäre, wie wir dies gemeinhin von der Papierriss-Kunst und ihren Bild-Objekten kennen.
Das Buch mit gänzlich unkommentierten Einzelfotografien von vermeintlich „unschuldiger“ Ambitionslosigkeit und scheinbar beiläufig-gefälliger Ästhetik trägt einen Titel, der in drei Worten alles erklärt, aufschließt und benennt, was der Autor und Fotokünstler eigentlich mitteilen will:
“Archeology of Now”; das ins hautnahe Jetzt der Gegenwart vorgerückte Archäologisierungsbemühen, zu welchem eine haltlose, verstoffwechselungssüchtige Zivilisationsmoderne augenscheinlich nötigt. Wir kennen diesen „Titel-Effekt“ beispielsweise von einem berühmten Gemälde Pieter Bruegels, welches uns auf den ersten Blick fast schon behäbige Beschaulichkeit, satte Selbstzufriedenheit und ein unerschütterliches Welteinverständnis signalisiert. Einzig der bereitgestellte Titel, nämlich „Der Sturz des Ikarus“, erzwingt beim Betrachter den „dialektischen“ Wahrnehmungsumschlag, ein zweites, nochmaliges Lesen (vgl. griech. „dialegomai“), Sehen und Bedeuten: aus der Nachmittagsidylle wird, von einem zum anderen Augenblick, die mythische Großkatastrophe des menschheitsgeschichtlichen Hybrissturzes.
Präventive Archäologie
Mutatis mutandis gelingt Vergleichbares auch hier: Allein durch die Titelbeigabe wird aus einem auf den ersten Blick eher harmlos-gefälligen, ästhetisch gleichsam kalmierenden Fotoband mit Papierriss-„Funden“ – wie mancher Betrachter sie so ähnlich selbst schon einmal visioniert und ihrem Morbidezza-Charme im Vorübergehen Tribut gezollt haben mag – blitzartig ein veritabler Katastrophen-Indikator, eine Abrechnung mit einem zum Scheitern verurteilten Zivilisations- und Lebensmodell. Die Archäologie ist – ganz konsequent – in der Gegenwart angekommen, weil der Gegenwart die eigene Zukunft abhanden gekommen ist. Eine stets heillos verspätete Moderne zeigt sich von Tag zu Tag mehr als archäologische Asservatenkammer.
Der Titel-Appell erschafft eine vollständig neue Wahrnehmungssituation – ganz einfach, indem er die Lichtquelle der Aufmerksamkeit anders platziert. Ohne die erkenntnisleitende Idee der Titelbeigabe hätten wir ein anderes Buch in der Hand – und nicht zuletzt über Kunst- und Kunstambition anders zu urteilen.
Die hier aufgerufene „Archeology of Now“ ist eine präventive Archäologie: nämlich das der eigenen Wirkungszeit gleichsam vorauseilende und „zuvorkommende“ systematische Erhaltungs- und Konservierungsbemühen angesichts der immer kürzeren wirkungspraktischen Präsenz und der immer prekäreren geistigen und psychosozialen „Halbwertzeiten“ der jeweils angesagten Produkte und Objekte, der Bilder und Botschaften samt der zugehörigen Zeichen. Die Idee einer „zuvorkommenden“ Archäologisierung selbst allzu rasch verglühender zivilisatorischer Hervorbringungen gehört in den Denk- und Deutungszusammenhang „kompensatorischer Entschleunigung“.
Wer im atemlosen Sturmlauf der Entwertung und der Ersetzung durch permanente Innovation für sich und seine Nahwelt im Gegenzug die Langsamkeit entdeckt, vermindert uno actu Ausmaß und Reichweite jener einseitig auf Beschleunigung und Überbietung ausgerichteten Sozialenergien. Denkmalschutz ist, beabsichtigt oder nicht, impliciter Investition in Langsamkeit: Solange wir die kulturellen Zeugnisse und „Relikte“ untergegangener Zeiten oder Funktionsepochen sammeln, konservieren und das zugehörige Begleitwissen (etwa im Sinne funktional abgelebter Fertigkeiten und Nutzungsstrategien) tradieren, mindern wir – zumindest um ein Weniges – den Furor entfesselter Beschleunigung und der ihr spiegelbildlichen Veralterung: Wer mit Bewahren und Tradieren beschäftigt ist, entzieht sich der tätigen Mitwirkung an einer Gegenwart, welche, blind für Folgen, die Müllhalden der Zukunft türmt.
aus: Bernd Guggenbergers Essay “Kunst als Gegenwartsarchäologie – Anmerkungen zu Alexander Hilberts Archeology of Now”.
Was also haben wir vor uns? Ein Buch, gewiss, aber ein ganz besonderes. Kein Buch, das uns über Kunst, über fremde oder eigene, quasidokumentarisch berichtet oder belehrt, sondern ein Buch, das selbst, als Ganzes, Kunst ist; die Kunst ist, die es im Inneren, sorgfältig gereiht und aufgelistet, enthält. Was es uns zeigt, sind keine „Reals“, keine Dinge, die sonst irgendwo, außerhalb des Buches, als Kunstdinge in materialer Entsprechung existieren. Keine Abbildungen von etwas, das außerhalb der Fotografien als Bild, als eigenständiges Kunstobjekt vorhanden wäre, wie wir dies gemeinhin von der Papierriss-Kunst und ihren Bild-Objekten kennen.
Das Buch mit gänzlich unkommentierten Einzelfotografien von vermeintlich „unschuldiger“ Ambitionslosigkeit und scheinbar beiläufig-gefälliger Ästhetik trägt einen Titel, der in drei Worten alles erklärt, aufschließt und benennt, was der Autor und Fotokünstler eigentlich mitteilen will: Archeology of Now; das ins hautnahe Jetzt der Gegenwart vorgerückte Archäologisierungsbemühen, zu welchem eine haltlose, verstoffwechselungssüchtige Zivilisationsmoderne augenscheinlich nötigt.
Wir kennen diesen „Titel-Effekt“ beispielsweise von einem berühmten Gemälde Pieter Bruegels, welches uns auf den ersten Blick fast schon behäbige Beschaulichkeit, satte Selbstzufriedenheit und ein unerschütterliches Welteinverständnis signalisiert. Einzig der bereitgestellte Titel, nämlich „Der Sturz des Ikarus“, erzwingt beim Betrachter den „dialektischen“ Wahrnehmungsumschlag, ein zweites, nochmaliges Lesen (vgl. griech. „dialegomai“), Sehen und Bedeuten: aus der Nachmittagsidylle wird, von einem zum anderen Augenblick, die mythische Großkatastrophe des menschheitsgeschichtlichen Hybrissturzes.
aus: Bernd Guggenbergers Essay “Kunst als Gegenwartsarchäologie – Anmerkungen zu Alexander Hilberts Archeology of Now”.
Mehr dazu in der Desktop-Version.
Alexander Hilbert – Archeology of Now
Berlins Plakatwände als Spiegel der Zeit. Eine Poesie der Großstadt, die das Fragment zum Gesamtwerk erhebt.
Alexander Hilbert – Archeology of Now
Old school oder post-digital: Berlins Plakatwände als Spiegel der Zeit.
Mehr über Alexander Hilbert
Mehr über Bernd Guggenberger
Mehr über Alexander Hilbert
Mehr über Bernd Guggenberger